Texte
STEFAN KLÖCKNER
Welche Kirche braucht die Musik?
Fragt ihr mich ernsthaft,
was für eine Kirche die Musik brauche?
So sage ich euch: Keine!
Denn die Musik ist frei wie der Geist
und kann gehen, wohin sie will –
kann wehen, wo sie will.[1]
Und wie der Geist kann sie auch fehlen, wo sie will;
denn vielleicht ist sie der Rolle müde,
bloße Magd zu sein für eine graue Herrin,
die verzweifelt alte Bilder anstrahlt –
in der Hoffnung auf ein wenig Abglanz für ihr Heute.
Gewisslich aber
kennt sie die Glut in den Herzen der Menschen besser
als die Kirchenleerer mit den spitzen Hüten
und den vorgestanzten Liedern auf ihren eiskalten Zungen.
Fragt ihr mich ernsthaft, welcher Kirche
die Musik nahe ist um der Menschen willen,
so sage ich euch: Mindestens dieser nicht!
Denn die Musik klingt nicht mehr
in den steinernen Häusern der Untoten, die der Gnade vergaßen!
So sucht sie das Zelt,
in dem der brüchige Klang jahrtausendealter Verheißung
die Hoffnung in uns wachzuhalten vermag:
Dass Gott an die Menschen glaubt
und sich ihnen bedingungslos anvertraut.
Dass er singend, mit seiner „wolkenlosen Musikalität“,[2]
die ganze Wanderschaft lang bei ihnen ist
bis zum Ziel,
damit sie das Leben haben – es in Fülle haben.[3]
Fragt mich also nicht mehr,
welche Kirche die Musik brauche!
Geht – und „nehmt Gottes Melodie in euch auf“![4]
[1] Joh 3,8
[2] Hanns Dieter Hüsch, „Religiöse Mitteilung“
[3] Joh 10,10
[4] Ignatius von Antiochien an die Gemeinde in Ephesus.